Times Square, New York © Andrea David

Buchtipp: Schauplatz Film - New York

New York ist zweifellos die am meisten gefilmte Stadt der Welt. Als hier zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Hochhäuser in den Himmel wuchsen, waren die ersten Filmemacher zur Stelle und dokumentierten die unglaubliche Energie, mit der die Stadt sich verwandelte, filmten die Gebäude, Straßen, Menschen der damals größten Stadt der Erde. Manhattan, Broadway und Times Square waren der Inbegriff von Modernität. New York ist in seinen Filmen jedoch niemals nur Kulisse, sondern spielt immer auch eine Rolle, nicht selten die Hauptrolle. Das Buch „Schauplatz Film - New York” von Hannes Klug will sich den vielen Facetten dieser Stadt durch den Blick auf ihre Filme nähern. Was diese Filme auszeichnet, was diese Stadt als Filmschauplatz auszeichnet und welche Bedeutungen die Stadt und ihre Filme einander mitgeben. Hier eine kleine Leseprobe:

schauplatz-film-new-york-hannes-klugWas ist ein New-York-Film? Ein Film, der in New York spielt? Oder ist es ein Film, der in New York gedreht wurde? Was aber, wenn er zwar hier spielt, aber nicht hier gedreht wurde? Den Gegenstand eines Buches wie diesem zu bestimmen, ist auf den zweiten Blick nicht mehr ganz so einfach wie auf den ersten. Bedeutende Filme wie „New York, New York” (1977), den Martin Scorsese als reine Studioproduktion in Los Angeles filmte, John Carpenters „Escape from New York” (1981), der zu weiten Teilen in St. Louis, Missouri, entstand, oder David Cronenbergs „Cosmopolis” (2012), der zwar ein Buch des New Yorker Schriftstellers Don DeLillo zur Vorlage hat, aber komplett im kanadischen Toronto gedreht wurde, wären nach diesen Kriterien womöglich keine New-York-Filme im engeren Sinne. Dennoch teilen sie etwas Besonderes über diese Stadt mit.

New York entwickelte seine Filmsprache auch als Gegenentwurf zu den Studios an der amerikanischen Westküste. Wer in New York dreht, ist auf der Suche nach etwas, das ihm kein Filmset bieten kann. New-York-Filme haben etwas zu sagen, das sie genau hier, an diesem Ort sagen müssen. Was erzählen sie über diese Stadt? Was über Amerika? Und wie tun sie das? 1966 war die New Yorker „Mayor’s Office of Film, Theatre and Broadcasting” die weltweit erste städtische Film-Behörde, gegründet, um Kino und Fernsehen in der Stadt zu fördern. Die Film- und Fernsehproduktion ist hier in den vergangenen Jahren, durch hohe Subventionen gestützt, erneut rasant gewachsen. Allein 2014 wurden in New York mehr als 230 Filme und 39 Fernsehserien gedreht. Zwar ist Hollywood nach wie vor das Zentrum der Filmindustrie, doch New York ist, was seine Gegenwart auf der Leinwand angeht, mehr denn je die Filmstadt schlechthin.

Tiffany’s, Fifth Avenue, New York © Andrea David
Tiffany’s, Fifth Avenue, New York © Andrea David

Audrey Hepburn im schwarzen Abendkleid vor dem Schaufenster von Tiffany’s an der Fifth Avenue, begleitet von „Moon River” und der Magie eines strahlenden Morgens in „Frühstück bei Tiffany” (1961); Cary Grant in „An Affair to Remember” (1957), der bei Gewitter bis nachts auf dem Empire State Building ausharrt, um auf seine Verlobte zu warten, die nicht kommen wird: New-York-Filme prägen unseren Blick auf die Stadt, bevor wir sie selbst überhaupt betreten haben. Seit den Anfängen von Fotografie und Film existiert die Stadt auch durch die Bilder, die sie auf der ganzen Welt bekannt gemacht haben. Reisen wir dann selbst nach New York, folgen wir dabei unwillkürlich bestimmten Erwartungen, die Filme, die wir gesehen haben, in uns geweckt haben. Sie schicken uns auf ganz eigene städtische Entdeckungsreisen und lassen uns die Plätze, an denen sie entstanden sind, mit wachem, mit einem filmisch geschulten Blick sehen.

Lexington Ave, New York © Andrea David
Lexington Ave, New York © Andrea David

Wäre der Zauber, den Filme verströmen, jedoch einfach auf die Alltagserfahrung übertragbar, wäre Filmemachen nicht die Kunst, die es ist. Filmerfahrung ist komplex, sie verfremdet und verdichtet, und der Besuch eines Drehortes wird der künstlerischen Kraft eines Films selten gerecht. Ein Film wie „Taxi Driver” (1976) erlaubt heutzutage einen Blick in die Vergangenheit und ist eine überwältigende historische Schatzkammer für das Manhattan der 1970er Jahre. „The Panic in Needle Park” (1971) erzählt unvergesslich von der damaligen Upper West Side, Fort Apache the Bronx (1981) von den dramatischen Zuständen in der Bronx.

Filme können uns auf komprimierte Weise Erkenntnisse über einen realen Ort zu einem bestimmten Zeitpunkt vermitteln, doch sie sind auch Kunstwerke. Sie spiegeln die soziale Realität ihrer Zeit wider, und doch ist die filmische Stadt ein imaginärer Ort, der die Wirklichkeit interpretiert und überhöht. Filme bilden eine Stadt niemals einfach nur ab, sondern sie setzen sie in Szene. Jeder Film schafft sein eigenes Universum, dem die reale Stadt nur als Ausgangspunkt dient. Filme sind Artefakte. Sie haben einen eigenen Wirklichkeitsstatus. Die Filmstadt New York ist eine Verwandte, kein Abbild der realen Stadt. Sie ist nicht mit ihr identisch, und es ist auch für dieses Buch wichtig, beide auseinanderzuhalten.

Bethesda Fountain, Central Park, New York © Andrea David
Bethesda Fountain, Central Park, New York © Andrea David

Egal, ob auf einer Wanderung durch Harlem, in den verwinkelten Straßen von Downtown oder während eines Spaziergangs durch den Central Park – zweifellos befruchten Film und Wirklichkeit einander im Bewusstsein des Filmfans, der New York besucht. Vier ausgearbeitete Stadtspaziergänge, in den Kapiteln jeweils mit „Streifzug” überschrieben, machen hierzu konkrete Vorschläge. Dennoch versteht sich das Buch „Schauplatz Film - New York” nicht in erster Linie als Filmreiseführer. Sein Aufbau folgt einer Struktur, die bestimmte relevante Zusammenhänge deutlich machen will. Was erzählen New-York-Filme über ihre Stadt? Wie schreibt die Stadt sich in ihre Filme ein? Und wie haben sich beide im Laufe der Zeit verändert? Das Buch fragt, wie sich das reale und das imaginäre New York zueinander verhalten und wie sie sich seit den Anfängen des Filmemachens gegenseitig beeinflusst haben.

 

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„Schauplatz Film - New York” von Hannes Klug

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