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Interview mit Schauspieler Clemens Schick

Interview mit Schauspieler Clemens Schick („Casino Royale”, „Das finstere Tal”)
über die HISTORY-Reihe „Guardians of Heritage – Hüter der Geschichte

„Wo Kultur mutwillig zerstört wird, ist Völkermord nicht weit“, sagt Schauspieler und Aktivist Hannes Jaenicke. In der dreiteiligen Dokumentation „Guardians of Heritage – Hüter der Geschichte“, die HISTORY Deutschland eigenproduziert hat und ab dem 26. November 2017 an drei Sonntagen ausstrahlt, bereisen Jaenicke und seine prominenten Unterstützer die halbe Welt und gehen der Frage nach, wie die Menschheit ihre kulturellen Stätten dauerhaft bewahren kann. Hannes Jaenicke, Ulrike Folkerts, Christian Berkel, Clemens Schick, Esther Schweins und Aglaia Szyszkowitz besuchten bedeutende Stätten der Menschheitsgeschichte und deren Hüter in Jordanien, Kambodscha, USA, Kanada, Israel, Polen, Spanien Bosnien und Herzegowina.

Die zweite Folge trägt den Titel „Nie wieder“ (Sonntag, 3. Dezember, 21.50 Uhr). Darin begibt sich Christian Berkel auf eine Spurensuche nach dem zerstörten jüdischen Leben im polnischen Lodz. Münchens ehemaliger Oberbürgermeister Christian Ude besucht die Jüdische Gemeinde Münchens, die mit seiner Unterstützung in das Herz der Stadt zurückgekehrt ist. Und Clemens Schick untersucht in Kambodscha die tiefen Wunden, die die Schreckensherrschaft der Roten Khmer in der Kultur des Landes hinterlassen hat.

Clemens Schick mit Prof. Dr. Hans Leisen in Angkor Wat © Brent Lewin/Getty Images for HISTORY Germany

Schick traf in Kambodschas Hauptstadt Phnom Penh auf Chum Mey, der Ende der 70er Jahre das berüchtigte Foltergefängnis S-21 der Roten Khmer überlebt hat. Seit seiner Befreiung setzt sich Chum Mey für die Dokumentation der Gräueltaten und gegen das Vergessen ein. Clemens Schick traf auch Prof. Dr. Hans Leisen, den Direktor des „German Apsara Conservation Centers“. Er arbeitet seit mehr als 20 Jahren gemeinsam mit seiner Frau daran, dem Verfall der Tempelanlage Angkor Wat entgegenzuwirken und sie für die Nachwelt zu konservieren. Für ihr Engagement wurden die Eheleute mit dem Bundeversdienstkreuz erster Klasse ausgezeichnet. Im Interview erzählt Clemens Schick von seinen Erfahrungen in Kambodscha.

 

Was wussten Sie im Vorfeld Ihrer Reise über Kambodscha?

Ich habe mich mit der Geschichte befasst und alles gelesen, was ich über die Region und auch über die Schreckensherrschaft der Roten Khmer finden konnte. Wenn ich weiß, dass ich Menschen treffe, die dieses Regime überlebt haben, fände ich es furchtbar, ihnen unvorbereitet gegenüberzutreten.

In Phnom Penh haben Sie das ehemalige Foltergefängnis S-21 besucht und sind dort einem der wenigen Überlebenden, Chum Mey, begegnet. Was haben Sie im Gespräch mit ihm empfunden?

Das Gleiche, was ich empfinde, wenn ich ein Konzentrationslager besuche oder mir Gedanken über die deutsche Geschichte mache. Das ist eine Fassungslosigkeit, zu welcher Brutalität und zu welchem Hass die Menschen fähig sind. Dieser Punkt war mir auch sehr wichtig: Ich gehe als Deutscher mit der deutschen Geschichte in ein Land wie Kambodscha und erkundige mich, wie die Menschen mit dem Völkermord in ihrem Land umgehen. Ich kam nicht aus der Fremde und fragte: „Wie kann so etwas möglich sein?“ Ich kam aus Deutschland und sagte: „In unserem Land ist etwas Ähnliches passiert.“ Ich glaube, die Kambodschaner haben durchaus wahrgenommen, dass ich nicht nur der Fragensteller war, sondern das Leid, das ihnen widerfahren ist, nachvollziehen kann.

Wenn westliche Besucher das Foltergefängnis oder auch die „Killing Fields“ nahe Phnom Penh besichtigen, ist das nach Meinung einiger Kritiker „Dark Tourism“. Sollte man sich Ihrer Meinung nach diese Orte des Schreckens anschauen?

Unbedingt. Es kommt natürlich darauf an, wie ich dort hingehe. Ich zolle den Menschen, die gestorben sind und gelitten haben, Respekt. Ich werde diese vielen hundert Schwarzweißfotografien, die dort hängen, nie mehr vergessen. Die Gefangenen wurden fotografiert, bevor sie umgebracht wurden. Sie verleihen der großen Zahl von Opfern individuelle Gesichter. Ich finde, in einer Zeit, in der wir oft spüren, wie fragil unsere Demokratie ist, muss man immer hinterfragen: Was passiert, wenn wir plötzlich ohne unsere Freiheiten leben müssen? Wer in diesem Foltergefängnis steht und in die Gesichter blickt, macht sich ganz klar bewusst, dass er Freiheiten und somit ein Glück genießt, das die Opfer nicht hatten.

Der Buddhismus gilt gemeinhin als friedliebende Religion. Wieso konnte in Kambodscha dennoch in menschenverachtendes Regime der Roten Khmer heranreifen, das nahezu vier Millionen Menschen das Leben kostete?

Das weiß ich nicht. Für mich kommt noch ein wesentlicher Aspekt hinzu: Pol Pot hat zeitweise in Paris gelebt – in einer der kulturreichsten Städte Europas. Er studierte dort, ging nach Kambodscha zurück und errichtete dieses Terrorregime. Ich habe keine Antworten darauf und weiß auch nicht, ob man Antworten finden kann. Es gibt ja immer wieder in allen Religionen diesen Ausbruch von Hass und Gewalt.

Sie haben in Kambodscha junge Künstler getroffen. Wie gehen die mit der jüngeren Geschichte ihres Landes um? Wollen die überhaupt die Erinnerung wachhalten?

Da gibt es sicher welche, die sich damit auseinandersetzen. Aber 70 Prozent der Kambodschaner sind unter 30 Jahre alt. Die haben das Terrorregime und den anschließenden Bürgerkrieg nicht oder nicht mehr bewusst mitbekommen. Ich hatte bei meinem Besuch das Gefühl, dass ein Großteil des Landes gerade damit beschäftigt ist, zu Wohlstand zu kommen und nach vorn zu schauen. Die Diskussion über das Vergangene wird eher von den Älteren geführt. Ich habe mit einer Apsara-Tänzerin gesprochen. Sie war betroffen und versucht nun, junge Frauen und Mädchen durch die Kultur des Tanzes an die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit heranzuführen.

Detlev Buck drehte in Phnom Penh viele Szenen für seinen Film „Same Same But Different“ (2010), Matt Dillon setzte der Stadt schon Jahre vorher mit „City of Ghost“ (2002) ein filmisches Denkmal. Wie haben Sie die Hauptstadt erlebt?

Als eine energiegeladene Stadt, die mit einem explosionsartigen Wachstum zu ringen hat. Der Verkehr in Phnom Penh bricht mittlerweile zusammen, weil Geld in dieses Land kommt und alle ein Auto oder einen Motorroller haben wollen. Die Stadt ist auf der einen Seite sehr schön und bietet Paläste, Tempel und ein emsiges Uferleben auf der Promenade. Auf der anderen Seite strotzt diese Stadt vor Dreck.

Die vier Millionen Touristen, die mittlerweile jährlich nach Kambodscha reisen, haben vor allem ein Ziel im Visier: Angkor Wat. Wie haben Sie diesen größten Sakralbau der Welt empfunden?

Als einen sehr mystischen Ort. Er besitzt eine unglaubliche Schönheit und Größe, wird aber auch von Touristen überrannt, die sich teilweise sehr sinnlos an diesem Ort bewegen. Ich kann einfach nicht nachvollziehen, wie jemand in eine Jahrhunderte alte Tempelanlage seinen Namen ritzen kann. Das ist für mich ein Symbol für völlige Sinnlosigkeit, weil ich daran erkenne, dass jemand nicht wahrnimmt, wo er gerade ist.

Warum haben die Roten Khmer, die in Kambodscha jede Form von Kultur und Religion ausmerzen wollten, ausgerechnet Angkor Wat weitgehend verschont?

Die Roten Khmer haben vor allem versucht, die Spuren des französischen Kolonialismus auszuradieren, also die großstädtische, westliche Lebensart. Sie wollten die Kultur bis ins 12. Jahrhundert zurück eliminieren. Damals war Angkor die Residenzstadt des riesigen Khmer-Reiches. Und daran wollten sie anknüpfen. Den geistigen und religiösen Inhalt von Angkor Wat haben sie offenbar ignoriert und die Buddha-Statuen sogar ins Ausland verkauft, um ihr Regime und ihre Waffenkäufe zu finanzieren. Das ist ein Zwiespalt und eine Schizophrenie, die viele Parallelen in der Geschichte anderer Diktaturen findet.

Die Fernsehreihe heißt „Guardians of Heritage – Hüter der Geschichte“. Wer ist heute der Hüter von Angkor Wat?

Da gibt es nicht einen einzelnen Hüter. Das sind verschiedene Menschen und Nationen, die sich gemeinsam einsetzen. Das ist ein Konglomerat aus Kambodschanern, die Interesse daran haben, dass ihre Geschichte erhalten bleibt. Das sind aber auch Menschen wie der Kölner Professor Hans Leisen, der mit seinem Sachverstand und glücklicherweise auch durch Finanzmittel des Auswärtigen Amtes für den dauerhaften Erhalt von Angkor Wat kämpft.

Professor Leisen ist längst im Ruhestand, arbeitet aber trotzdem fast täglich in Angkor Wat und anderen Denkmälern Südostasiens. Wie haben Sie ihn erlebt?

Als jemanden, der – wie auch ich – seine Leidenshaft zum Beruf gemacht hat. Er setzt sich seit Jahrzehnten dafür ein, dass die Pracht dieser Anlage für weitere Generationen erhalten bleibt. Wir kletterten auf dieses Gerüst und sahen überall diese Betonspritzer bei der Arbeit. Das ist auch so eine unglaubliche Geschichte: Nach dem Fall des Terrorregimes kamen andere Länder und beschlossen, Angkor Wat zu schützen. Sie stabilisierten die Mauern und Reliefs mit dem falschen Betongemisch – und jetzt kostet es Jahre, um diesen Beton wieder wegzuklopfen, weil er sich mit dem ursprünglichen Stein nicht verträgt. Für diesen Berg an Arbeit braucht man jemanden wie Professor Leisen, der mit 150 Prozent bei der Sache ist.

Als Schauspieler haben und hatten Sie die Gelegenheit, an vielen besonderen Filmlocations zu arbeiten. Inwieweit eignet sich Kambodscha für Dreharbeiten?

Das ganze Land eignet sich als Filmlocation. Wir waren in der Regenzeit dort und haben es in sattem Grün erlebt. Das ganze Land zeichnet sich durch seine Schönheit aus, zugleich aber auch durch seine Perversion. Uns wurde angeboten, auf einer Shooting Range für 1000 Dollar mit einem Raketenwerfer auf eine Kuh zu schießen. Das haben wir natürlich nicht gemacht. Aber was ist denn das für ein Filmset, wenn dort solch eine Energie herrscht? Das meine ich gar nicht zynisch. Die Atmosphäre der Hauptstadt Phnom Penh, diese Schönheit und Perversion des Landes. Das alles macht die Region zu einem idealen Drehort.

Kambodscha war bis in die frühen 1990er Jahre hinein eines der gefährlichsten Reiseländer der Welt. Heute ist es friedlich und empfängt vier Millionen Touristen pro Jahr. Sie sind 2009, 2011 und 2012 vor deutschen Soldaten im Kriegsland Afghanistan aufgetreten. Denken Sie, dass auch Afghanistan in 20 Jahren ein friedliches Reiseland ist, das Millionen Touristen empfängt?

Das kann ich mir im Augenblick nicht vorstellen. Das wäre aber ein Traum.

Warum ist diese Wandlung in Kambodscha gelungen?

Kambodscha spielt in der internationalen Politik keine Rolle. Dagegen war und ist Afghanistan ein Spielball der Mächtigen im Kalten Krieg. Deshalb ist Afghanistan heute so, wie es ist, wohingegen Kambodscha gleich nach dem Vietnamkrieg aus dem Fokus der Weltpolitik fiel und befriedet werden konnte.

 

Weitere Informationen sind unter www.history.de zu finden.

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