Die Kinos sind leider immer noch geschlossen, doch in Hamburg senden sie nun mit einer charmanten Online-Ausgabe der jährlichen Aktion Eine Stadt sieht einen Film ein Lebenszeichen.
Die Kinoveranstaltung, bei der die Hamburger Programmkinos normalerweise alle den gleichen Film in ihren Häusern zeigen, geht am 27. und 28. Februar 2021 mit dem Sozialdrama „Supermarkt“ von Roland Klick online. Und auch auf die Kinogespräche, Interviews und die Drehortführung müssen die Teilnehmer nicht verzichten, da sie ebenfalls im Stream zu sehen sein werden.
Der Film und das zugehörige Rahmen- und Filmprogramm wird an beiden Tagen sowohl auf Eine Stadt sieht einen Film, den Websites der 17 teilnehmenden Kinos als auch der Plattform Pantaflix abrufbar sein. Das Streaming ist kostenfrei.
Roland Klicks Milieu-Thriller „Supermarkt“ aus dem Jahr 1973 dreht sich um den jungen Kleinkriminellen Willi (Charly Wierzejewski), der sich in Hamburg durch die Tage gaunert und es trotz Hilfsangeboten einfach nicht aus der Abwärtsspirale herausschafft. Sein einziger Hoffnungsschimmer ist seine Liebe zur Prostituierten Monika (Eva Mattes mit blonder Perücke).
Der Film ist eine Zeitreise in das Hamburg von vor fünfzig Jahren und zeigt eine weite Bandbreite an Motiven, von der prunkvollen Villa mit Elbblick bis zu heruntergekommenen Gebäuden und Brachflächen.
Mit den folgenden Fotos gehen wir auf eine kleine „Supermarkt“-Tour und bringen die einzelnen Filmszenen noch einmal zurück an ihre Drehorte:
Ganz am Anfang des Filmes ist Willi in einer Kneipe zu sehen, vor der er schließlich von einer Gruppe Kinder umgerannt wird. Schnell sammeln diese sein kurz zuvor geklautes Kleingeld von der Straße auf und laufen weiter.
Dieser Drehort befindet sich an der Ecke Schultzweg / Hühnerposten im Münzviertel, gleich hinter der Zentralbibliothek in der Nähe des Hauptbahnhofs.
Der Schauplatz ist heute nur sehr schwer wiederzuerkennen: Da, wo sich im Film die Kneipe in einem Tiefparterre befand, sind heute Apartments für Studenten. Die gegenüberliegende Straßenseite ist mittlerweile komplett bebaut.
Das große, rote Backsteingebäude, das damals und auch heute noch am Ende des Schultzwegs zu sehen ist, beherbergt aktuell das a&o Hostel Hamburg Hauptbahnhof in der Amsinckstraße. In den Siebzigern wurden hier wie in der Speicherstadt Waren aus aller Welt gelagert.
“Der Bahnhof das ist die freie Wildbahn, das ist die Natur”, sagt Zuhälter-Kumpel Theo (Walter Kohut) im Film. Und so gehört auch der Hauptbahnhof in Hamburg zu den „Supermarkt“-Schauplätzen. Gedreht wurde hier sowohl in einem Seitenstrang der Wandelhalle, mit Blick vom Eingang Kirchenallee Richtung S-Bahn Gleise, als auch bei den Schließfächern.
Weitere Hamburger Bahnhöfe, die im Film zum Einsatz kommen sind die U-Bahn-Haltestelle Messehallen, wo der Journalist Frank (Michael Degen) Charly verwahrlost am Bahnsteig zurücklässt, und der U-Bahnhof Rödingsmarkt, an dem Charly Monika heimlich folgt.
Ebenfalls am Rödingsmarkt fährt Charly an Monika mit dem Auto vorbei und verwickelt sie schließlich in ein Gespräch. Nur wenige Gebäude in der Umgebung sind hier noch wiederzuerkennen.
Unter der Trasse der Hochbahn zwischen den Haltestellen Hoheluftbrücke und Eppendorfer Baum besucht Charly zusammen mit Frank und dessen Freundin einen Wochenmarkt. Hier hat sich kaum etwas verändert: Der Isemarkt gehört auch heute noch zu den beliebtesten Wochenmärkten der Stadt.
Das Anwesen mit Blick auf die Elbe, in der es zu einer tödlichen Auseinandersetzung mit einem reichen, schwulen Freier (Hans-Michael Rehberg) kommt, ist die Villa Jako in Blankenese.
Auf der Reeperbahn trifft Charly zum allerersten Mal auf Monika. Eva Mattes war in dieser Szene, in der sie mit einem Teller dampfender Spaghetti auf dem Pflaster landet, übrigens tatsächlich total betrunken.
Um die für die Szene notwendige Aufmerksamkeit der ahnungslosen Passanten zu erhalten, hatte sie zur Vorbereitung ein Whiskyglas voll Doornkaat in einem Zug ausgetrunken.
Die Location des Nachtdrehs befindet sich gleich am Anfang der Großen Freiheit, wo sich heute der Beatles-Platz befindet.
Die ehemalige Fischerstraße in St. Pauli, durch die Charly zu Beginn des Filmes vor der Polizei flüchtet, ist heute überhaupt nicht mehr wiederzuerkennen.
Und vergeblich sucht man auch den Supermarkt, vor dem Charly und Theo gemeinsam den chaotischen Überfall auf einen Geldtransporter ausüben. Der Supermarkt war damals schon das Ergebnis der Set Dekoration und der Drehort befand sich in der alten Unterführung am CCH.
In den letzten Jahren wurde das Kongresszentrum rundum modernisiert und die Unterführung, die zur Marseiller Straße führte, ist im Zuge des Umbaus komplett verschwunden. Das neue CCH soll noch 2021 eröffnen.
Und noch eine weitere Unterführung, die im Film „Supermarkt“ zu sehen ist, gehört heute der Vergangenheit an. Als Charly mit Monika an der Spitalerstraße über eine mögliche gemeinsame Zukunft spricht, ist im Hintergrund eine Rolltreppe in den Untergrund zu sehen.
Von dieser fehlt heute jede Spur. Den Glockengießerwall kann man an dieser Stelle nur noch oberirdisch kreuzen.
In der Schlussszene des Filmes sieht man Willi hoffnungsvoll zu Marius Müller-Westernhagens Celebration, der damals noch unter dem Pseudonym „Marius West“ sang, durch den Alten Elbtunnel gehen.
Westernhagen war übrigens auch die Synchronstimme des Hauptdarstellers Wierzejewski, der in Wahrheit Berliner Dialekt spricht.
Laut Eva Mattes war Charly zwar kein professioneller Schauspieler, spielte die Rolle jedoch durch seine eigenen Erfahrungen absolut authentisch.
Sie meint: „Es hätte keinen Besseren geben können.“
Tipp: Einige der hier gezeigten Fotos sind ab 15. Februar 2021 auch an den Originalschauplätzen des Films ausgestellt. Wer sie entdeckt, fotografiert und mit dem Hashtag #einestadtstreamteinenfilm sowie dem Tag @1stadt1film auf Instagram postet, nimmt automatisch an der Verlosung der Plätze für die nächste Drehorttour im Rahmen von „Eine Stadt sieht einen Film“ teil.
Zur Veranstaltung am 27. und 28. Februar 2021: Eine Stadt sieht einen Film
Weitere Infos:
Interview mit Charly Wierzejewski
Verwandte Hamburg-Artikel:
Kurz und schmerzlos
Nordsee ist Mordsee
Der amerikanische Freund
Filmstadt Hamburg – Stars & Drehorte