Szene aus "Dark" im Schlosshotel Grunewald mit Andreas Pietschmann © Netflix / Andrea David

Im Schnack: Andreas Pietschmann

Andreas Pietschmann gehört zu den wenigen Darstellern, die in Deutschland allein durch ihre Schauspielarbeit leben können. Aktuell steht der 49-Jährige, der mit seiner Frau Jasmin Tabatabai und drei Kindern in Berlin lebt, für die Dreharbeiten zur 2. Staffel der Netflix-Serie „Dark“ vor der Kamera. Im Café Liebling in Prenzlauer Berg, das sich übrigens genau gegenüber dem Haus aus „Sommer vorm Balkon“ befindet, habe ich ihn auf einen Kaffee getroffen, um mit ihm über Drehorte, die Schauspielerei und natürlich die Faszination an „Dark“ und Zeitreisen im Allgemeinen zu sprechen.

 

Der fiktive Ort Winden aus der Serie „Dark“ setzt sich ja aus sehr unterschiedlichen Drehorten (Details dazu hier) und Sets zusammen. Welche haben dich bisher am meisten fasziniert?

Die Höhle, in der ja sehr viele Szenen stattfinden, ist schon durchaus ein Set gewesen, bei dessen Herstellung man absolut Beeindruckendes geleistet hat. Aber auch die ganzen Interieurs, die einzelnen Wohnungen, die Detailverliebtheit bei den Schauplätzen für die 80er Jahre, die ich ja auch durchlebt habe und noch genau vor Augen habe, haben mich sehr begeistert. Da habe ich wirklich viele Dinge entdeckt, die mir sehr vertraut waren.

 

Höhlenszene aus „Dark” mit Andreas Pietschmann © Netflix

 

Beeinflussen die einzelnen Drehorte eigentlich dein Rollenverständnis?

Die unmittelbare Umgebung, in der gedreht wird, ist tatsächlich ganz wichtig für meine Arbeit. Das ist immer ein Konglomerat aus der Fantasie, die ich für die Rolle mitbringe, dem Text, den ich zu spielen habe, und gleichzeitig aber auch dem Kostüm und dem Ort, an dem ich mich bewege. Das hat auch mit ganz sinnlichen Erfahrungen zu tun wie Gerüche. Jeder Ort riecht anders und gibt dadurch wieder Rückkopplung bei mir, mich auf bestimmte Art und Weise zu bewegen, zu empfinden und zu sprechen. Die Arbeit derer, die die Sets bauen oder die Locations finden, und derer, die die Kostüme machen, ist für uns Schauspieler wahnsinnig wichtig. Das sind so Sprossen auf der Leiter, die man besteigen muss, um eine Figur glaubhaft darzustellen.

 

„Dark” Drehort am Südwestkirchhof Stahnsdorf, Brandenburg
„Dark” Drehort am Südwestkirchhof Stahnsdorf, Brandenburg © Andrea David / Stefan Erhard / Netflix

 

Es ist ohnehin toll, sich mit den einzelnen Gewerken auseinanderzusetzen und im Vorfeld vielleicht sogar zu besprechen, wie die eigene Vorstellung dazu aussieht. Ein Beispiel ist der Uhrmacherladen in „Dark“. Das Set wurde mit einer Detailverliebtheit wie aus dem Märchenland erstellt, unglaublich. Da reinzugehen war quasi schon die halbe Miete. Das bewegt dich einfach als Schauspieler.

 

Wie bist du zu der Rolle als „Fremder“ in Dark gekommen? Und welche Besonderheit hat sie für dich?

Das lief ganz normal über ein Casting. Simone Bär, die bei der Zusammenstellung des Casts unglaubliche Arbeit geleistet hat, da in der Serie so viele Verwandtheiten und Entsprechungen in verschiedenen Altersstrukturen existieren, hat mich zum Casting eingeladen und da habe ich dann die Serienschöpfer Bo und Jantje kennengelernt und das Glück gehabt, die Rolle zu bekommen.

Die Besonderheit der Rolle, die ich sehr schätze, ist, dass die Figur von Anfang an ein großes Geheimnis in sich trägt und sie, auch ohne sofort im Dialog mit anderen Figuren zu stehen, eine Geschichte erzählt. Der Fremde ist eine große Projektionsfläche, die lange Zeit viele Fragezeichen verteilt. Man spürt, dass er mit der Geschichte sehr viel zu tun hat, aber entdeckt die Verbindung erst mit der Zeit. Dieses Geheimnisvolle und auch das Einzelgängertum mag ich sehr. Der Fremde ist nicht sofort offensichtlich mit anderen Figuren verwoben, sondern existiert erst einmal sehr für sich. Das hat mich sofort für diese Figur eingenommen.

 

Auf meiner Instagram-Seite fragen besonders viele Nutzer aus den USA und Brasilien nach „Dark“. Hast du erwartet, dass die Serie so eine hohe internationale Bekanntheit erlangen würde?

Also Erwartungen hatte ich erst einmal gar keine, weil ich nicht hochrechnen konnte, was diese neue Plattform Netflix bedeutet, gerade was den Multiplikationseffekt und die Reichweite angeht. Man konnte auch nicht wissen, ob dieses deutsche Produkt mit deutschem Think Tank, deutschem Regisseur, deutschen Schauspielern, deutschen Locations, usw. überhaupt kompatibel und konsumierbar für Leute außerhalb Deutschlands ist. Für mich war es daher erst einmal eine Arbeit mit einer sehr interessanten Rolle in einer wahnsinnig spannenden Geschichte. Als am Pressetag dann Journalisten aus England, Schweden, Portugal, den Niederlanden, Frankreich, Mexiko, Brasilien, etc. da waren, war ich schon sehr überrascht, welch großen Anklang die Serie im Ausland findet.

Es ist schon eine ganz andere Aufmerksamkeit als bei einer Produktion im deutschen Fernsehen, die dann, wenn sie erfolgreich ist, auch noch im Ausland läuft. „Dark“ wurde über Netflix vom ersten Tag an in 190 Ländern ausgestrahlt. Ich denke, das ist eine neue Art und Weise des Fernsehens, die der Lebensweise vieler Leute auch gerechter wird. Ich schaffe es beispielweise auch nicht, mir um 20:15 Uhr einen Film anzuschauen, sondern kann ihn dann, wann immer und wo immer noch ansehen. Das ist schon ein großer Vorteil, dem die ganzen Mediatheken und weitere Streaming-Dienste ja schon gefolgt sind.

 

Szene aus „Dark” im Schlosshotel Grunewald mit Andreas Pietschmann © Netflix / Andrea David

 

Wenn es einfach möglich wäre, würdest du lieber in die Zukunft oder in die Vergangenheit reisen?

In die Vergangenheit! Ich würde beispielsweise gerne in die Zeit reisen, in der ich geboren wurde, und das Ganze mal mit dem Erwachsenenauge betrachten. Die 70er Jahre würde ich gerne mal mit anderen Augen sehen als nur aus Kinderaugen. Und ich würde noch viel weiter zurückreisen, z.B. mal ins 19. Jahrhundert oder ins Mittelalter, also insgesamt in Zeitperioden, von denen ich aus Filmen, aus Geschichtsunterricht, aus Büchern, zwar eine gewisse Vorstellung habe, aber kein reales Bild. Das finde ich noch interessanter als in die Zukunft zu reisen. Die Überraschung, was noch kommt, will ich mir ohnehin nicht nehmen lassen.

 

Gibt es etwas, was du deinem früheren Ich gerne raten würdest?

Oh ja, mir selbst? Da gibt es einige Sachen! In einigen Momenten würde ich mir selbst sagen: „Pack mal zu! Zier dich nicht so lange, zaudere nicht so lange!“ Ich würde mir raten, öfter mal den Mut aufzubringen, einfach zu machen und nicht so viele Fragezeichen und Vorbehalte vorne anzustellen, und auch mal Humor als Ratgeber zuzulassen, viel öfter als Reflektion und Vorsicht. Es gibt vielleicht auch Menschen, die sagen, ich hab alles richtig gemacht und jetzt bin ich genau da, wo ich sein wollte. Aber ich hätte da schon so manches anders machen können, wo immer ich dann gelandet wäre. Es ist okay, wo ich jetzt bin. Das bin ich, das ist mein Wesen. Ich will mich nicht unbedingt komplett verändern, aber so ein paar Wegabzweigungen hätte ich durchaus in andere Richtungen nehmen können.

 

Glaubst du mehr an Schicksal oder Zufall?

Ich glaube schon, dass viele Dinge, die uns passieren, zu etwas gut sind und einen Sinn ergeben. Und ich glaube nicht, dass man komplett frei ist von der Möglichkeit, Dinge selbst zu entscheiden und zu beeinflussen. Das, was mir begegnet, sehe ich immer auch als Aufgabe, mit der ich umzugehen habe, da es nicht ohne Sinn und Zweck meinen Weg kreuzt. Ich bin überzeugt davon, dass nicht alles reiner Zufall ist.

 

Hast du dir vor dem ersten „Dark“-Dreh auch andere Zeitreise-Filme oder -Serien angesehen?

Natürlich kenne ich „Zurück in die Zukunft“. Die Filme haben mich als Teenie schon wahnsinnig beeindruckt und es hat einfach unglaublich Spaß gemacht, sie anzuschauen. Wenn meine größeren Kinder diese jetzt ansehen, setze ich mich sehr gerne dazu und schaue sie mir wieder an. Nicht nur als Erinnerung, sondern weil ich die Vorstellung, sich auf der Ebene der Zeit bewegen zu können, so faszinierend finde.

 

Szene aus „Zurück in die Zukunft”, Puente Hills Mall, Los Angeles

 

Und ich erinnere mich vor allen Dingen daran, dass ich als ganz kleiner Junge mal, den Film „Die Zeitmaschine“ gesehen habe. Das muss eine alte Verfilmung gewesen sein. Ich erinnere mich nur noch, dass da so seltsame Gestalten auf freiem Feld durch einen Brunnen in die Erde stiegen, wo die Zeitreisen dann stattfanden. Vielleicht hat sich das Bild über die Jahre auch mit meinen Träumen verwoben, aber ich weiß jedenfalls noch, dass es mich unglaublich fasziniert und angezogen hat. Da mich das Thema generell so interessiert, ging es auch bei „Dark“ ganz schnell. Da dauerte es keine zwei Sekunden bis ich wusste: „Was für ein geiles Projekt!“

 

Deine Frau ist ja auch Schauspielerin. Hat man da in seiner Freizeit überhaupt noch Lust sich gemeinsam Filme oder Serien anzuschauen?

Total, wir lieben Filme! Es ist nur mit einem Alltag mit drei Kindern immer recht wenig Zeit, diese zu schauen. Für unseren Job ist das aber auch notwendig, wir wollen wissen, was läuft, was gab’s schon, was gab´s noch nicht, was würden wir gerne anders machen oder woran kann man sich orientieren? Ich mochte zum Beispiel auch „Babylon Berlin“ sehr gerne, mit diesem großartigen Kosmos der 20er Jahre, tollen Schauspielern und einer hochinteressanten Geschichte. Und ich mag per se sehr gerne Thriller, bei denen der Zuschauer mitdenken muss. Also ähnlich wie bei „Dark“. Da kannst du auch nicht mal kurz rausgehen und einen Kaffee holen. Wenn du eine Szene verpasst, dann bist du raus.

 

Der Dreh zu „Ostfriesenblut“ hat dich in den vergangenen Wochen nach Ostfriesland, die Donna-Leon-Reihe um Commissario Brunetti nach Venedig geführt. Bleibt zwischen den Drehtagen eigentlich auch mal Zeit, die Gegend zu erkunden?

Selten. Aber es ergibt sich ab und zu mal motivbedingt ein Drehtag, an dem du nicht die ganze Zeit dabei bist und dann ein, zwei Stunden frei hast. Das hatte ich zum Beispiel in Ostfriesland und konnte mir dann den Luxus erlauben, mir ein Fahrrad auszuleihen und an den Strand zu fahren. Das war noch dazu so ein 30-Grad-Tag, nur leider war das Meer gerade verreist, so dass ich nicht schwimmen gehen konnte. Wenn du in Venedig drehst, bewegst du dich sowohl bei der Arbeit als auch danach wie in einem Museum.

 

Venedig ist Schauplatz und Drehort von Donna Leons „Commissario Brunetti”

 

Es ist toll an Drehorte zu kommen, an denen du etwas ganz Anderes siehst als zuhause, aber meistens ist die Zeit schon sehr knapp. Es sei denn, es ist ein ganz krasser Drehort, wie ich ihn beim Bibelfilm „Ihr Name war Maria“ in Tunesien hatte. Da kannst du am drehfreien Tag nicht mal kurz nach Hause fahren und deshalb auch etwas den Ort erkunden. Eine sehr angenehme Begleiterscheinung meiner Arbeit.

 

Filmtouristen lassen sich von Filmen zu neuen Reisezielen inspirieren. Bist du schon mal wegen eines Filmes oder einer Serie privat an einen Ort gereist?

Ich war diesen Sommer auf der griechischen Insel Kefalonia, zwar nicht extra wegen des Filmes „Corellis Mandoline“, den sie dort gedreht haben, doch vor Ort bin ich dann auch zum Drehort gefahren, um mir das anzusehen. Nicolas Cage ist nämlich der Lieblingsschauspieler meiner Mutter und die liebte den Film auch so.

 

„Corellis Mandoline” Drehort Kefalonia, Griechenland

 

Es kommt tatsächlich öfter mal vor, dass ich denke „Das haben sie hier gedreht“. In der Normandie dachte ich z.B. an den Film „Saving Private Ryan“, bei Malta denke ich an „Gladiator“. Oder „Cyrano de Bergerac“ zum Beispiel, das haben sie unter anderem in Le Mans gedreht. Als ich nach der Schule für zehn Monate nach Frankreich gegangen bin, weil ich noch Französisch lernen wollte, kam der gerade raus und Gérard Depardieu war mein großes Idol. Da bin ich dann zu den Drehorten gereist, weil ich den Film so liebte.

 

Und gibt es einen Ort, den du aus einem Film oder einer Serie kennst, den du gerne einmal live erleben würdest?

Ich würde gerne mal über die Öresundbrücke zwischen Dänemark und Schweden fahren, wo sie „Die Brücke“ gedreht haben oder auch die Serie „Kommissarin Lund“. Das ist so ein Drehort, den fand ich immer irre spannend. Und überhaupt mag ich diese skandinavischen Krimis sehr.

 

Die Öresundbrücke zwischen Kopenhagen und Malmö

 

Stehst du eigentlich lieber auf der Bühne oder vor der Kamera?

Ich mache beides sehr gerne und mag auf keines verzichten. Ich liebe es sehr, meinen Beruf in seiner ganzen Bandbreite auszuüben, vor der Kamera und auf der Bühne zu sein, aber auch Hörbücher zu machen, Lesungen und Liveveranstaltungen. Ich komme von der Bühne und das ist einfach in mir drin, weshalb ich immer wieder unmittelbar vor Publikum stehen und spielen möchte, um den Livemoment zu erleben.

Ich mag aber auch das Drehen sehr, diese situativen, kleinen Schnipsel, in die du innerhalb kurzer Zeit Raffinesse und Präzision reinbringen musst. Das ist eine ganz andere Art zu arbeiten, die eben mit dem kleinen, feinen Besteck stattfindet. Am liebsten mag ich, wenn ich den ganzen Tag anspruchsvolle Szenen gedreht hab und dann abends vom Filmset zum Theater fahre, wo ich eine Vorstellung vor ein paar hundert Leuten habe. Diesen Wechsel schätze ich sehr.

 

Gibt es etwas, was du besonders gerne spielst?

In der 96. Minute in der Nachspielzeit ein Champions-League-Finale durch einen Fallrückzieher zu entscheiden. (lacht) Ich hätte übrigens bei „Das Wunder von Bern“ mitspielen sollen, Sönke Wortmann hatte mir schon zugesagt. Leider hat es dann nicht geklappt, da ich einfach zu viele Vorstellungen am Thalia Theater hatte…

Aber zurück zur Frage: Ich mag vor allem feinsinnige, facettenreiche Rollen. Vom Typ her werde ich seltsamerweise gerne als Held besetzt. Ich selbst finde eher den gefallenen Helden spannend, also den, der nicht nur Identifikationsfigur ist, sondern auch einen dunklen Abgrund und trotzdem eine Anziehung hat. Im Theater ist das zum Beispiel Roberto Zucco. Aber auch die Figur bei „Dark“ ist ein wenig so, da sie so unnahbar ist.

 

2019 startet die zweite Staffel von „Dark“. Darfst du schon etwas verraten? Müssen die Zuschauer weiter mit wilden Verflechtungen der Figuren rechnen?

Zum Inhalt kann ich natürlich gar nichts verraten, das würde der Zuschauer sicher auch nicht wollen. Selbst meine Frau sagt: „Bitte bloß keinen Spoiler!“ Und ich versuche sogar selbst alles zu vergessen, damit ich es mir dann neu ansehen kann. Aber was ich sagen kann: Es bleibt wahnsinnig spannend und es bleibt kompliziert.

 

„Dark” Drehort im Saarmunder Wald, Brandenburg
„Dark” Drehort im Saarmunder Wald, Brandenburg © Andrea David / Netflix

 

Es gibt ein paar neue Figuren und es wird auch neue Verflechtungen geben. Und ein weiteres Kontinuum gibt es auf alle Fälle:
Es wird nicht das passieren, was man erwartet.

 

Das Interview mit Andreas Pietschmann habe ich im Oktober 2018 geführt.

 

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